Von den Niagara Falls bis Alberta

Bevor wir unsere Reise Richtung Westen fortsetzen haben wir noch etwas zu erledigen. 

Internet und Technik. Wir sind beide keine Technik Freaks und hatten in der Vergangenheit ein ambivalentes Verhältnis zum Internet. Erst mit der Planung unserer Reise befaßte ich mich intensiver mit der Materie. Ich lernte in mühseliger Kleinarbeit eine Homepage zu erstellen, lud mir entsprechende Apps herunter und habe mich mit deren Handhabung vertraut gemacht. Für Handy und Co hatte ich alle Ladekabel und so weiter und so fort. Was ich nicht habe ist ein Kabel um während der Fahrt meinen Mac aufladen zu können. Das gilt es zu besorgen. In Burlington wollen wir das fehlende Teil in einem Apple Shop besorgen. Dort die Überraschung. Gibt es nicht. Ich bin nicht sicher ob ich mich korrekt ausgedrückt habe und frage eine Freundin zu Hause die mir bei allen Problemen diesbezüglich helfen kann. Nein, gibt es nicht. "Hast du keine Power Bank"? "Nein, was ist das"? "Ein Ladegerät, was du während der Fahrt anschließen kannst". " Ne habe ich nicht". "Das brauchst du aber". "Toll und wo bekomm ich das"? " Ich hab meins im Internet gekauft". " Ganz große Klasse". Hallo Apple, unbedingt ein Kabel für 12 Volt Anschluß auf den Markt bringen.

Ohne Ladegerät sind wir mal eben auf dem Weg zur Westküste Richtung Vancouver. Vor uns liegt eine Strecke von 5430 Km. Etwa genau so weit liegt Moers von Omsk in Sibirien entfernt. Ein Klacks. Manchmal brauche ich solche Vergleiche um die Größe dieses Landes zu begreifen. Wir durchqueren die Waterloo Region in Ontario. Noch heute leben in dem Gebiet um Kitchener und St. Jakobs zahlreiche Mennoniten, die ihre Traditionen bis in die heutige Zeit bewahrt haben. Nur eine Autostunde von Toronto entfernt fühlen wir uns in eine andere Epoche versetzt. Verkehrsschilder warnen vor Pferdekutschen die immer noch ein gängiges Fortbewegungsmittel sind. Frauen und Männer in ihren Trachten bestimmen das Straßenbild. Wer Antikes liebt wird in eine der Verkaufshallen fündig. Egal ob Kleidung, Möbel, Nippes. Wer auf der Suche nach dem "Besonderen" ist geht mit Sicherheit nicht mit leeren Händen hinaus.  Auf dem gegenüberliegenden Farmers Market werden sowohl in großen Hallen als auch draußen die einheimischen, landwirtschaftlichen Produkte angeboten. Obst und Gemüse wohin wir schauen. Fast Food Wagen dürfen bekanntlich nicht fehlen und wir haben die Qual der Wahl. Wir stellen uns einen Hot Dog zusammen. Was für mich bei IKEA schon schwierig ist, ist hier für mich eine schier unmögliche Herausforderung. Auf das Würstchen kommen Senf, Gurken, Oliven, Zwiebeln, Ketchup und zu guter letzt noch Dressing. Bevor ich den ersten Bissen zu mir nehmen kann finden Ketchup, Senf und Dressing den Weg über meine Finger auf die Servietten. Anschließend kullern die Oliven nach. Beiß ich erst das Brötchen an oder nehme ich das Risiko einer Maulsperre auf mich? Während ich noch überlege geht Silvia in die Vollen, beißt herzhaft in den Hot Dog und hat eine rote Nase. Ach was soll es, die Finger sind eh schon schmutzig, da kann das Gesicht ruhig auch etwas abbekommen. Guten Appetit. 

Das ist der erste und letzte Hot Dog den ich in diesem Jahr essen werde.

Statt der antiken Möbel verlassen wir den Markt mit Obst und Gemüse und einem typischen kanadischen Produkt, einer kleinen Flasche Ahorn Sirup.

Wir wählen für den Weg nach Westen die südliche Variante und nehmen den Hwy 17. Die Strecke soll reizvoller sein. Jedoch bleibt uns das Reizvolle im Dauerregen und Nebeldunst verborgen.

" Und, wie sieht es aus"? Silvia liegt dick eingemummelt in ihrem Schlafsack, die Augen noch geschlossen. Den morgendlichen Blick aus dem Fenster hätte ich mir sparen können. "Hörst Du doch, es regnet". Dauerregen am Lake Huron bis Sudbury. Die Regentropfen prasseln auf das Dach des Wohnmobiles. Ein all zu bekanntes Geräusch. Der 2. Tag mit Dauerregen und eine schlechte Straße mit unzähligen Schlaglöchern. Linker Hand der nicht enden wollende Lake Huron und rechts Felsen und Wälder im stetigen Wechsel. Laut Wetter App ist in den nächsten Tagen keine Besserung in Sicht. Wir fahren weiter. Fahren, tanken, kurze Pause im Wohnmobil dann wieder fahren. Schlimmer kann es nicht werden. Na ja, irren ist menschlich. Am Lake Superior sinkt die Temperatur auf -2 Grad. Aus Regen wird Schneeregen. Es dauert nicht lange und wir befinden uns im kräftigem Schneefall. Die Schneeflocken tanzen Samba vor unseren Augen. Die Scheibenwischer vereisen. Die Schlieren auf der Windschutzscheibe verursachen eine noch schlechtere Sicht. In regelmäßigen Abständen halten wir und säubern die Wischerblätter. Mittlerweile sind wir von einer weißen Pracht umgeben. Hoffentlich kommt kein Elch auf die Straße gesprungen, wir würden ihn zu spät erkennen. Den ersten Elch haben wir gestern an der Straße zu Gesicht bekommen. Kein Elch, aber dafür tauchen vor uns Schneeräumer auf. Außer uns sind nur wenige Trucker unterwegs. Bislang kennen wir sie rasend, nicht so heute. Sie fahren mit Bedacht und überholen nicht. Für uns ein untrügliches Zeichen die Fahrt nicht mehr lange fort zu setzen. Bis Thunder Bay kommen wir heute eh nicht. Die nächste Abfahrt heißt Wawa. Ein typischer Ort wie es sie zu tausenden in Kanada gibt. Wäre da nicht das 8.50 Meter hohe aus Stahl gebaute Standbild einer Kanadagans, die Touristen in den Ort locken soll. Und tatsächlich gehört diese Gans zu den meist fotografierten Standbildern Nordamerikas. Gans hin oder her, wir brauchen einen Platz zum Übernachten. An einem Motel bekommen wir eine Absage aber die Info, daß weiter die Straße herunter eine Grocery ist wo wir stehen können. Heute am Ostersonntag hat der Laden geschlossen. Der Parkplatz ist winzig aber es wird schon gut gehen. Wir decken lediglich die Windschutzscheibe ab und stellen die Heizung an. Gekocht wird nicht weil wir nicht wissen ob wir nicht doch woanders hin müssen. Happy Eastern in Wawa. Die Heizung bleibt heute Nacht an. 

Immer zur falschen Zeit. Mein Gott ist das kalt. Dick eingemummelt in meiner Skiunterwäsche und einer zusätzlichen Wolldecke liege ich im Bett und frier mir den Allerwertesten ab. Es nutzt nichts, ich muß mal aufstehen, will aber nicht und versuche wieder zu schlafen. Was natürlich nicht klappt. Stattdessen bemerke ich daß die Gasanlage blinkt. Mist, die Flasche ist leer und die Ersatzflasche haben wir nicht aufgedreht. 

Ab jetzt eine neuer Regel.

Regel Nummer 2:

Immer beide Gasflaschen aufdrehen.

Rein in die eiskalten Klamotten, Stirnlampe aufgesetzt, Handschuhe an, hinein in die Badelatschen und raus in die Eiseskälte von 

-9 Grad. Die Badelatschen versinken im Schnee und meine Füße werden naß. Gasflasche aufdrehen und ab zurück ins Auto. Heizung neu einstellen und hoffen daß aus den 4 Grad schnell wieder angenehme 10 Grad entstehen. Derweil liegt Silvia in ihrem Schlafsack und bekommt von der Aktion nichts mit. Sie wollte unbedingt Kanada im Winter erleben und hätte deshalb eigentlich aufstehen müssen. 

Vor Ladenöffnung verlassen wir in aller Herrgottsfrühe den Platz.

 

Noch ist alles weiß, aber je näher wir Manitoba kommen um so besser wird es. Der Winterdienst hat hervorragende Arbeit geleistet. Der Hwy 17 ist wieder schneefrei und es wird etwas wärmer.  Die Tannen sind mit einer Schneehaube bedeckt und fliegen an uns vorbei. Am Lake Superior liegen noch dicke Eisschollen im Wasser. Wir kommen bis Thunderbay und stehen ausnahmsweise auf einen KOA Platz. Heute ist Eröffnungstag. Inmitten der Dickschiffe sieht unser Wohnmobil recht mickrig aus. Natürlich wollen wir, wenn wir schon einen full hookup Platz haben, auch dumpen. Daraus wird nichts. Tröpfchen für Tröpfchen platscht auf den Boden. Der Wasserschlauch ist zugefroren. Silvia gibt nicht auf. "Hol mir mal den längsten Schraubenschlüssel". Es geht ans prorkeln aber ohne nennenswerten Erfolg. Lassen wir doch die Sonne arbeiten, die bringt das Eis schon zum Schmelzen.

Wir befinden und in Zentralkanada in Manitoba. Der Wintereinbruch in Ontario ist Schnee von gestern. Die Temperatur ist angenehmer und wir sehen keine dunklen Wolken am Himmel. Achtung Kurve. Unser Navigon für Nordamerika scheint keine richtigen Kurven zu kennen. Bei der kleinsten Straßenkrümmung ermahnt uns die Stimme mit: Achtung Kurve. Eigentlich geht es immer schnurstracks geradeaus und das Navi eigentlich völlig überflüssig. Die Straße ist wie mit dem Lineal gezogen und endet am Horizont. Die Fahrerei ist deshalb eintönig, das Landschaftsbild bleibt gleich. Abgeerntete Felder wohin wir schauen. Hin und wieder einige gelbe Wiesen mit Kühen. Mein Gott, ich hätte nie gedacht daß Kühe eine Abwechslung sein können. Um der Eintönigkeit zu entfliehen biegen wir bei Winnipeg ins Landesinnere ab. Ziel ist ein Naturschutzgebiet, Oak Hammock Marsh in der Nähe von Stonewall. Das Feuchtgebiet ist Raststation für Zugvögel. Leider haben diese ihren Zwischenstop auf dem Weg nach Norden schon beendet. Außer tausenden Streifenhörnchen die über das Gras huschen und blitzschnell in eines der unzähligen Löchern verschwinden wenn wir ihnen zu nahe kommen sehen wir nur Bisamratten, Gänse und Enten. Im Feuchtgebiet haben Biber ihre Burgen gebaut, lassen sich aber nicht blicken. Wir machen es wie die Zugvögel und rasten. Übernachten dürfen wir hier nicht.

Jetzt wissen wir womit unsere Bundeskanzlerin nach ihrer Amtszeit ihr Geld verdienen wird. Die Nähe zu Holland bleibt ihr wie wir im weiteren Verlauf feststellen. Ob der Platz gut gewählt ist wissen wir nicht. In dieser Gegend gibt es überdimensionale Spinnen. Schlecht für Menschen mit einer Phobie. Statt idyllisch im Naturschutzgebiet übernachten wir bei Flying J. Es wird laut. Trucks kommen und gehen. Rechts und links von uns rattern die Generatoren. Es stinkt nach Diesel und Abgasen, aber es ist spannend und interessant. An Schlaf ist nicht zu denken. Wir inspizieren den Platz und bestaunen die Trucks. Im Shop finden wir eine Power Bank und ich kann endlich den Mac während der Fahrt laden. Die Shops sind hervorragend ausgestattet, haben Sanitäranlagen und Restaurants. Wir gönnen uns einen Hamburger in Truckergröße. Super lecker und mit denen von Mc Donalds nicht zu vergleichen. 

Unausgeschlafen geht es am nächsten Morgen auf einer Strecke, die zum wach werden nicht geeignet ist, weiter. Eintönig und nur geradeaus. Es ist wieder so weit. Der Dicke ist voll und wir müssen dumpen. Runter vom Highway und schauen was das Hinterland zu bieten hat. Weit und breit nur Schotterstraßen. Wir durchfahren Orte mit den klangvollen Namen Sidney, Arizona und Holland. Holland empfängt uns mit einer Windmühle und einer Bogenbrücke, die über eine kleine Gracht führt. Es fehlen nur noch die Tulpen. Wir erreichen Cypress River. Eh man sich versieht ist man wieder draußen, es sei denn man fährt die wenigen Querstraßen auf der Suche nach einer Dumping Möglichkeit ab. Dabei entdecken wir eine kleine Autowerkstatt mit Shop. Die Betreiber Glenn und Theresia, ein älteres Ehepaar im Rentenalter, halten ein Schwätzchen mit einem noch älteren Herrn aus der Nachbarschaft. Man hat Zeit und lebt mit einer unendlichen Gelassenheit wie es scheint in den Tag. Wir kommen ins Gespräch und reden über Rente, Schule, Kindergarten und das Leben im Allgemeinen in Kanada und Deutschland. Wegen der geringen Rente sind sie gezwungen weiter zu arbeiten. Hier können wir unter den neugierigen Blicken der Anwesenden unseren Dicken entleeren.

Bisonherden tauchen auf, allerdings hinter Zäunen. Auf Nebenstraßen nähern wir uns dem Bruce Woods Provincial Park. Wir wandern auf gut ausgebauten sandigen Wegen und werden ein klein wenig an die Lüneburger Heide erinnert. Aber nicht lange . Vor uns türmen sich die Wanderdünen auf, deren Gipfel wir natürlich besteigen müssen. Wir sind fast alleine hier. Das ist der Vorteil wenn man so früh unterwegs ist. Verlaufen können wir uns dank der guten Beschilderung nicht. Hin und wieder entdecken wir einige Frühlingsboten. Der schwere sandige Boden setzt uns beide nach so viel Fahrerei ein wenig zu. Die Knochen sind eingerostet. Unser Rosten geht weiter. Dafür läuft der Dicke rund. Saskatchewan ist schnell durchfahren. Wir gelangen von einer Zeitzone in die nächste. Das Verstellen der Uhren wird zu einer gewohnten Angelegenheit. Mittlerweile bestehen 8 Std. Zeitdifferenz zu Deutschland. 

Bevor wir Alberta erreichen biegen wir noch einmal rechts ab, nicht wissend wohin der Weg führt. Überall Farmhäuser. Um uns herum Stoppelfelder. Die Straße endet unvermittelt an einem Wasser. Keine Brücke, nichts. Wir müssen den gleichen Weg zurück. 

Morgen erreichen wir Alberta und sind in der Region Kanadas, der wir mehr Aufmerksamkeit widmen wollen. 

Wir wollten ursprünglich relativ schnell von Ost nach West reisen, aber das wir nach nur drei Wochen vor den Toren Albertas stehen war nicht angedacht. Wer weiß wozu das gut ist.