Vancouver, Grouse Mountain & Lynn Canyon Park

Vancouver ist die drittgrößte Metropole Kanadas. Umrahmt von den Coast Mountains mit den drei Hausbergen Grouse Mountain, Mount Seymour und Mount Strachan ist Vancouver heute die wichtigste Hafenstadt an der Westküste Nordamerikas. Entstanden durch den Fraser-Canyon- Goldrausch und später durch den Bau der transkontinentalen Eisenbahn, entwickelte sich die Stadt zu einer modernen multikulturellen Metropole.

Für einige Tage sind wir ein Teil der multikulturellen Gesellschaft. 

Wie in allen Großstädten gibt es Probleme eine Parkmöglichkeit für das Wohnmobil zu finden. Da haben es die Kanadier und Amerikaner mit ihren Dickschiffen einfacher. Sie stellen sich auf einen Campingplatz egal wie weit von der City entfernt und fahren mit ihrem, im Schlepptau mitgebrachten PKW, entspannt in die Stadt. Wir versuchen unser Glück im zentrumsnahen Capilano River RV Park direkt an der Lions Gate Bridge. Er ist zwar teuer aber wir können von dort bequem zu Fuß oder mit dem Rad in die Stadt. 

Habe ich gerade geschrieben bequem? Ich korrigiere mich. Die Lions Gate Bridge und ich werden keine Freunde. Sie schwingt sich in einem nicht enden wollenden Bogen über das Burrard Inlet bis hinunter zum Stanley Park. Einen herrlichen Blick auf die von mir ungeliebte Brücke erhalten wir am Prospekt Point. Der vier Quadratmeter große Stanley Park wurde 1889, wenige Jahre nach der Stadtgründung, als Erholungsgebiet erklärt. Namensgeber des Parks ist der damalige britische Gouverneur Lord Stanley. Ein Radweg führt uns am Wasser entlang. Wir radeln an zahlreichen von Besuchern bevölkerten Stränden und einem Leuchtturm vorbei bis wir vor den Totempfählen stehen. Auf den unzähligen Wanderwegen von insgesamt 81 Km Länge können wir schnell die Orientierung verlieren. Wir fühlen uns zeitweise in einen Regenwald versetzt, so dicht und undurchdringlich ist teilweise die Vegetation. Normalerweise befinden sich separate Radwege neben den Fußgängerwegen. Ist das nicht der Fall gibt es Verhaltensregeln für den Radfahrer. Rechts fahren ist Pflicht. Ansonsten ertönt von hinten der Ruf "right". 

Auf der Seawall Promenade, einem 29 Km langen Radweg umrunden wir die Downtown. Im Hafen liegen drei Kreuzfahrtschiffe vor Anker. Dementsprechend bevölkert sind die City und der Stanley Park. Faszinierend sind die Hochhäuser, die mit dem Tageslicht scheinbar ihre Farben wechseln. In den Glasscheiben spiegeln sich der Himmel oder andere Gebäude, Bäume und Sträucher. Nach Tagen in der Natur ist Vancouver ein unglaublicher Kontrast. Wir müssen entscheiden wohin wir unsere Blicke richten. Nach oben, geradeaus oder nach hinten. Immer wieder bekommen wir neue, andere Eindrücke.

Auf unserem Rundgang konzentrieren wir uns auf Chinatown und dem alten Stadtviertel Gastown. Gastown, der ursprüngliche Ortskern Vancouvers entkam 1960 nur knapp einer Totalsanierung. Heute ist der denkmalgeschützte Stadtteil ein Touristenmagnet. Die alte, dampfbetriebene Standuhr pfeift viertelstündlich und läßt Dampf ab. Gepflegte alte Häuser, gemütliche Restaurants und Kneipen, Cafés und Souveniergeschäfte prägen das Stadtbild. Es geht gemütlicher als in der Downtown zu. Am Maple Tree Square, zu Füßen des Stadtgründers, des berühmt berüchtigten Gasse Jack, stärken wir uns in einem kleinen Restaurant. Das Six Arces hat auf seiner Speisekarte Büffelfleisch stehen. Warum nicht einmal probieren? Die Serviererin, eine junge Germanistik Studentin, verwickelt uns in ein Gespräch. Sie hat gerade Zeit und wir so wie so. Von Gastown sind es nur wenige Minuten nach Chinatown. Es gibt keine Hochhäuser mehr, alles ist überschaubarer. Wir haben das Gefühl in Asien zu sein. Aus den Geschäften strömen die unterschiedlichsten Gerüche. Die riesigen Läden mit den exotischen Gewürzen machen uns neugierig. Wir schnuppern hier und dort und rätseln um was für Produkte es sich wohl handeln könnte. Die meisten davon sind uns fremd, auch die Angaben sind mit chinesischen Schriftzeichen versehen. 

Nach dem bunten Chinatown gelangen wir auf die E Hastings Street. Je weiter wir die Straße von Downtown kommend hinunter gehen um so trostloser und herunter gekommener zeigt sich das Stadtbild. Nichts ist vom Glanz Vancouvers mit seinen sich spiegelnden Glasfassaden der Hochhäuser übrig. Die Häuser zeigen Anzeichen von Verfall und die Straßen sind schmutzig. In dieser Umgebung begegnen uns Menschen die am Rande der Gesellschaft leben. Obdachlose, Frauen und Männer, aus allen Altersschichten, vom Alkohol und Drogen gekennzeichnet. Sie liegen auf den Gehwegen, umgeben von Müll, entweder schlafend mit Drogen voll gepumpt oder sitzen an den Hauswänden, unfähig sich noch koordiniert zu bewegen. Mehr tot als lebendig sehen wir eine junge Frau, abgemagert, den Blick ins Leere gerichtet. Wir fühlen uns hier beklommen und fehl am Platze. Ich benötige keine Kamera um das Elend fest zu halten. Es ist in unseren Köpfen für immer gespeichert.

So schnell wir können verlassen wir diesen Teil Vancouvers und richten unsere Gedanken auf das Bevorstehende. Nach dem Motto, soweit die Füße tragen, geht es über Downtown am Hafen vorbei und durch den Stanley Park zurück nach North Vancouver. Aus der Ferne sehe ich sie, meine Brücke. Es ist später Nachmittag und nicht nur meine Füße sind platt. Am oberen Punkt der Brücke angekommen stehen einige mit Kamera bewaffnete Menschen und warten auf etwas. Wie wir erfahren sollen alle drei Kreuzfahrtschiffe die wir im Hafen gesehen haben nacheinander auslaufen. Trotz Kälte, die Sonne steht kraftlos am Himmel, harren wir aus und gesellen uns zu der illustren Runde. Wir warten und warten, während der Wind um unsere Ohren bläst.  

Ich hoffe, daß Silvia nicht nach Cyclists Ausschau hält. Die Schiffe sind auch ohne Fernglas nicht zu übersehen. Das Warten hat sich gelohnt. Nacheinander verlassen alle drei Ozeanriesen den Hafen und fahren aufs offene Meer. Zum Abschied lassen sie noch einmal gehörig Dampf ab und verabschieden sich mit einem lauten Signal. Ich habe Silvia nicht gefragt wonach sie Ausschau gehalten hat. Ich jedenfalls halte Ausschau nach einer kühlen Dose Bier und einem Hocker um die Beine hoch zu legen.

Außerdem wäre ein Fußbad mit anschließender Massage nicht schlecht.

Nicht nur die Stadt Vancouver hat einiges zu bieten, auch das Umland ist sehenswert. Die Natur ruft. In unmittelbarer Nähe zur City gibt es verschiedene Möglichkeiten dem Trubel der Stadt zu entfliehen. Wir verbringen einige Zeit im Lynn Canyon Park in North Vancouver. Zahlreiche Wanderwege führen durch diesen 249 Hektar großen Regenwald. Die Bäume sind mit Moos bewachsen. Treppen führen hinunter in eine Schlucht, die von einer frei schwingenden Seilbrücke überspannt ist. Ich gehe nicht beschwingt sondern verkrampft über diese Brücke und halte mich an den Seilen fest, während Silvia völlig losgelöst über die Brücke dahin schwebt. Keine Schlucht ohne Treppen. Um zum Wasser  zu gelangen sind zahlreiche Stufen hinunter zu gehen. Ein natürlicher Badepool kann auf eigene Gefahr zum Baden genutzt werden. Noch ist es zu kühl dafür und wir nehmen davon Abstand. Um zum Auto zu gelangen heiß es wieder Treppen steigen. Irgendwann komme ich auch oben an und die Fahrt zum Grouse Mountain, einem der drei Hausberge Vancouvers kann beginnen. 

Es ist wie im Winterurlaub. Es fängt damit an daß wir vor der Talstation der Gondel in der Schlange stehen. Die überwiegende Mehrheit der Wartenden trägt Skibekleidung und ist mit Snowboard oder Skiern ausgestattet. Wir werden stutzig. Die wollen doch wohl nicht? Doch sie wollen. Oben angekommen befinden wir uns mitten im Skigebiet, in einer herrlichen Winterlandschaft. Die meisten Liftanlagen sind noch in Betrieb. Der einzige Unterschied zu den Skigebieten in den Alpen ist der, daß keine Dudelmusik zu hören ist und kein Hüttenzauber herrscht. Wir begeben uns vom Skibetrieb weg, wandern auf sulzigem Schnee und stehen nach einiger Zeit vor einem Tiergehege. Ein hoher Maschendrahtzaun trennt uns von zwei unglücklich drein schauenden Bären. Unseren ersten Bären in Kanada aber leider nicht in freier Wildbahn. Kein wacher, wilder Blick. Sie wirken traurig und teilnahmslos. Kaum vorstellbar, daß das zwei Grizzlys sein sollen so abgestumpft sie wirken. Das wird ohne Zaun mit Sicherheit anders sein. Von der Restaurantterrasse haben wir später einen tollen Blick auf die von mir ungeliebte Lions Gate Bridge und Vancouver. Leider ist die Fernsicht nicht besonders gut.

Wir sind in Rekord verdächtiger Zeit quer durch Kanada gereist. Von zu Hause kam zwischenzeitlich die Nachricht: Wenn ihr so weiter reist seid ihr im September wieder zu Hause. Da können wir nur lachen. Wir haben das Gefühl gerade erst richtig angekommen zu sein. 

Wenn wir schon einmal hier sind wollen wir uns auch entgegen vorheriger Überlegung Vancouver Island ein wenig ansehen. Eine kurze Stipvisite kann nicht schaden. Wir haben ja Zeit gut gemacht.