Jetzt im Winter bei Temperaturen um den Gefrierpunkt und eisigem Wind ist es in Halifax ein wenig ungemütlich. Die alte Zitadelle hält noch Winterschlaf und ist geschlossen. Auf der Promenade am Wasser entlang zu gehen ist trotz Sonnenschein bei beißendem Gegenwind alles andere als ein Vergnügen. Besonders der Weg zurück in die Stadt hat es in sich. Küstenstadt heißt bei mir alles ist flach auf Höhe des Meeresspiegels. Stimmt aber nicht. Unser Hotel befindet sich zentrumsnah in der Brunswick St. gegenüber dem Militärmuseum und der historischen Zitadelle. Also relativ weit oben. Genau genommen ganz oben. Die Waterfront unterhalb der Lower Water St. ganz unten. Dazwischen die Autovermietung Budget auf der Hollis St. Alles dicht beieinander. Der Blick von oben auf das Wasser ist faszinierend. Der Blick von unten nach oben erschreckend. Ich nenne den Weg nach oben Muskelaufbau Training. Gut für stramme Waden.
Bei unseren Spaziergängen schauen wir mehr nach oben auf das Gewirr von Stromkabeln als auf die Straße. So etwas kennen wir eigentlich nur aus anderen Ländern.
Wir sind nicht zum Urlaub im klassischen Sinne hier, sondern wollen ein Jahr unseres Lebens in Nordamerika verbringen. Das heißt, es sind einige Dinge zu erledigen. Mit dem Mietauto geht es zusammen mit Roland, einem Schweizer, zum Spediteur nach Dartmouth und dem Zoll. Die sechsköpfige Schweizer Familie haben wir bei der Wohnmobil Abgabe in Hamburg kennen gelernt und hier im Hotel wieder getroffen. Die jeweiligen Procedere erweisen sich als überaus einfach und unproblematisch. Beim Zoll gibt es keine Kontrollen, nur die Frage ob wir etwas zu verzollen haben. Das Pfund Kaffee und die Mountain Bikes geben wir an. Wir bestätigen, daß die Räder sauber sind. Das war es auch schon.
Endlich ist es so weit. Unser Dicker wird heute aus dem Hafen abgeholt. Mit dem Taxi fahren wir zum Hafen, Ceres Terminal. Gesund und munter steht er da, ohne Schrammen und Beulen. Wir müssen nur noch die Kennzeichen anbringen. Hinten das amtliche Ersatzschild ohne TÜV Plakette, vorne unser Phantasie Kennzeichen " DON`T HURRY ".
Zu guter letzt noch eine Streicheleinheit von Silvia an den Dicken.
Das Wohnmobil darf jetzt 12 Monate zollfrei in Nordamerika bleiben.
Unser Pflichtprogramm ist beendet. Jetzt kommt die Kür und mit ihr so manche Überraschung, Herausforderung und viele tolle Erlebnisse. Die Tour kann beginnen.
Die erste Fahrt.
Ins Navi gebe ich ein: Walmart, Großeinkauf.
Walmart ist ein großer Einzelhandelskonzern, der den gesamten amerikanischen, kanadischen Markt beherrscht. Für Wohnmobilisten sind diese Einkaufscenter auch deshalb interessant, weil dort mit wenigen Ausnahmen übernachtet werden darf. Dieses Angebot wird von den Einheimischen gerne und regelmäßig in Anspruch genommen. Bei manchen Wohnmobilen haben wir den Verdacht, daß sie ständig dort stehen und nicht mehr fortbewegt werden. Übernachten, einkaufen und zumindest in Kanada freies WLAN. Was wollen wir mehr.
Für mich ist der erste Einkauf gleich die erste Herausforderung. Meine Devise lautet: schnell in den Laden hinein und schnell wieder hinaus. Für Silvia bedeuten Einkäufe pures Vergnügen. Ich wußte gar nicht wie vergnügungssüchtig sie sein kann. Sie marschiert vorne weg und ich trotte mit dem Einkaufswagen hinter her. Es dauert schon eine Weile bis wir uns für ein Produkt entscheiden können. Wir tun uns mit den Packungsgrößen sehr schwer. Alles scheint für Großfamilien bestimmt zu sein. Die Preisangaben stimmen nicht, da je nach Provinz noch mal eine oder mehrere Tax Gebühren hinzu kommen. Es wird jedenfalls teurer als daheim. Die spannendste Frage ist aber ob uns die gekauften Produkte nachher auch schmecken. Darüber machen wir uns später Gedanken. Wir haben jetzt einen Vorrat für mehre Tage und zwei Gasflaschen, die nur darauf warten angeschlossen zu werden.
Probleme würden auftreten, damit haben wir gerechnet. Aber bitte nicht gleich am ersten Tag, wo wir voller Tatendrang loslegen wollen. Das können wir, nur anders als gedacht. Wir bekommen die Gasflaschen nicht angeschlossen. Die Adapter sitzen unserer Meinung nach fest aber beim Aufdrehen der Flaschen entströmt Gas. Es ist naßkalt, die Finger werden klamm und steif, die Nase läuft, wir stehen buchstäblich im Regen und verzweifeln. " Zu Hause gibt es keine Probleme, warum jetzt" ? Silvia ist genervt. Im ständigen Wechsel bin ich wieder an der Reihe. Mit bloßen Händen drehe ich solange den Adapter auf die Flasche bis ich mir die Knöchel blutig anschlage. An einen Schraubenschlüssel haben wir nicht gedacht. Ein freundlicher, älterer Kanadier sieht das Dilemma und eilt uns zur Hilfe. Ausgestattet mit einem Schraubenschlüssel, einer "wrench", ich verstehe nur Ranch, dreht er den Adapter auf die Flasche. Alles ohne Erfolg. Es strömt Gas aus. Fazit, eine Flasche ist defekt weil der Dichtungsring fehlt. Es folgt ein Flaschentausch. Endlich, die Flaschen sind angebracht. Wir fragen uns aber wie wir die jemals wieder abbekommen sollen so wie er mit seinen Kräften geschraubt hat. Bevor wir losfahren checken wir ob der Herd angeht und wir erleben die nächste Überraschung. Keine Flamme. Keine Flamme, kein Gas, keine Heizung, kein Kochen sondern kalte Wohnung und kaltes Essen. Der Verkäufer raubt uns den letzten Nerv als er meint wir hätten wohl die falschen Adapter. Sein Tipp, wir sollen zwei Km weiter zum Propan Händler fahren. Vielleicht kann er uns helfen. Ein guter Fachmann weiß Rat hoffen wir. Er nimmt sich Zeit und geht alles akribisch durch. Er läßt sich das europäische System ausführlich erklären, ist fasziniert aber erst einmal ratlos. Woran erkennen wir einen guten Fachmann? Natürlich an seiner Cleverness. Er fragt nach einem Handbuch. Wir haben die Handbücher mit, auch in englisch, jedoch nicht gleich daran gedacht. Lange Rede, kurzer Sinn. Die Gasanlage muß neu resettet werden. Ein kurzes Drücken des Knopfes reicht nicht aus. Fazit nach 1,5 Std. beim Fachmann: wir sind bis auf die Knochen durchgefroren aber überglücklich weil das Problem gelöst ist. Kosten für uns, zwei Dosen Bier.
Wir haben Lebensmittel für die nächsten Tage, einen vollen Dieseltank und etwas Frischwasser, was wir vorausschauend vor der Verschiffung im Wohnmobil belassen hatten.
Nieselregen, Nebel und Wind begleiten uns auf der ersten Fahrt. In sanften Wellen geht es auf und ab, Kurve rechts und Kurve links. Von der Landschaft bekommen wir nicht viel zu sehen. Die Scheibenwischer sind im Dauereinsatz. Wir suchen ein Plätzchen wo wir unseren Wagen umräumen und den Fahrradgepäckträger anbringen können. Direkt an der Straße entdecken wir bei Glen Margaret einen kleinen Platz auf dem einige alte Wohnwagen stehen. Keine Menschenseele ist in Sicht. Wir bleiben und warten ab was passiert. Ausgestattet mit Regenjacke und Regenhose werden die nötigsten Dinge aus der Heckgarage geholt. Mehr ist bei diesem Wetter nicht drin. Der Strom ist abgestellt und der Wasserhahn gesperrt. Macht nichts, denn wir haben ja eine funktionierende Gasanlage. Es klopft an der Tür und der Platzbetreiber stattet uns einen Besuch ab und sorgt dafür, daß wir Wasser bunkern können. Wir dürfen stehen bleiben, sollen aber 30 $ zahlen. Wir einigen uns auf 20 $ für einen Platz ohne Sanitäranlagen und Strom. Den ersten Tag im Wohnmobil feiern wir mit einer Flasche Wein und kalter Küche denn zum Kochen haben wir heute keine Lust mehr.
Maritimer Flair, idyllische Fischerdörfer, Segelboote die auf dem Wasser gleiten, Wale Watching, Lobster und Wein auf der Terrasse eines Strandrestaurants bei untergehender Sonne genießen. Das alles und noch viel mehr hat Nova Scotia laut Reisebuch zu bieten, nur nicht im April. Uns zeigen sich die Ortschaften die wir durchfahren von der tristen Seite. Alles ist grau in grau. Außer uns Unerschrockenen ist kaum ein Mensch auf der Straße. Ein mobiler Library Bus wartet umsonst auf Leseratten. Die sitzen wie wir feststellen alle im Kiwi Café bei Kaffee und Kuchen. Wir tun es ihnen gleich und wärmen uns auf.
Wir freuen uns wenn es regnet, denn wenn wir uns nicht freuen regnet es auch. Wir halten uns an den Spruch von Karl Valentin fest und lassen uns die Stimmung nicht vermiesen. Der Leuchtturm bei Peggys Cove ist von der Straße aus nur schemenhaft zu erkennen. Vor uns dümpeln einige kleine Fischerboote im Hafen und in den bunten Holzhütten ist es dunkel. Dunkel ist es auch über dem Wasser, wo die Wellen mit Wucht gegen die Klippen schlagen. Über glitschige Felsen wandern wir in unseren Regenmänteln, mit eingezogenem Kopf und den Blick starr nach unten gerichtet wieder zu unserem Wohnmobil zurück.
Schneller als erwartet kommen wir voran. Bei Liverpool durchqueren wir die Halbinsel und stellen fest daß der Kejimkujik NP, obwohl offiziell geöffnet, für uns unerreichbar ist. Nach 100 Metern machen Eis und Schnee die Zufahrt für uns unpassierbar. Wir befolgen den Rat des Rangers und fahren nicht in den Park hinein.
Es geht weiter nach Digby wo wir feststellen, daß die Fähre nach Saint John den Betrieb noch eingestellt hat. Uns bleibt nichts anderes übrig als die Halbinsel im Auto zu umrunden. Das hat auch sein Gutes, denn so kommen wir in den Genuss von deutschem Brot. In Annapolis Royal hat sich ein Bäcker aus Sachsen niedergelassen. Das knall gelbe Haus können wir nicht verfehlen. Der Bäcker und wir haben Zeit für ein kurzes Schwätzchen bei Kaffee und Kuchen. Mit zwei erstandenen Broten geht die Fahrt weiter immer an der Bay of Fundy, einem Wein und Obstanbaugebiet, entlang und wir landen fast wieder in Halifax. Nova Scotia im Schnelldurchgang bei fast Dauerregen Nebel, Wind und Kälte. Vor uns liegen noch etliche tausend Kilometer und 12 Monate, die mit Sicherheit noch einiges zu bieten haben.